Hyperventilation bei Panikattacken – Ursachen, Symptome und Soforthilfe
Hyperventilation ist eines der häufigsten und beängstigendsten Symptome bei Panikattacken. Erfahren Sie, warum sie entsteht, welche Folgen sie hat und wie Sie im Akutfall richtig reagieren.

Was ist Hyperventilation und warum tritt sie bei Panikattacken auf?
Wenn Sie schon einmal eine Panikattacke erlebt haben, kennen Sie wahrscheinlich dieses beängstigende Gefühl: Sie können plötzlich nicht mehr richtig atmen, schnappen nach Luft, fühlen sich benommen und haben das Gefühl zu ersticken. Was paradox klingt, ist typisch für Hyperventilation – eines der häufigsten Symptome bei Panikattacken.
Hyperventilation bedeutet übermäßig schnelles und tiefes Atmen. Bei einer Panikattacke aktiviert Ihr Körper das sogenannte Kampf-oder-Flucht-System. Ihr Gehirn interpretiert eine Situation als Bedrohung und bereitet den Körper auf schnelles Handeln vor. Ein Teil dieser Reaktion ist verstärkte Atmung, um die Muskeln mit mehr Sauerstoff zu versorgen.
Das Problem: Bei einer Panikattacke gibt es keine echte körperliche Gefahr, die schnelles Handeln erfordert. Die verstärkte Atmung führt dazu, dass Sie zu viel Kohlendioxid (CO2) abatmen. Dies verändert den pH-Wert in Ihrem Blut und löst eine Kettenreaktion weiterer Symptome aus – die wiederum Ihre Angst verstärken.
Der Teufelskreis der Hyperventilation
- Angst entsteht → Kampf-oder-Flucht-Reaktion aktiviert sich
- Atmung wird schneller und tiefer → zu viel CO2 wird abgeatmet
- Körperliche Symptome treten auf (Schwindel, Kribbeln, Atemnot-Gefühl)
- Symptome verstärken die Angst → “Ich bekomme keine Luft! Ich sterbe!”
- Atmung wird noch schneller → Kreislauf verstärkt sich
Dieser Teufelskreis ist der Grund, warum Hyperventilation bei Panikattacken so hartnäckig sein kann. Die gute Nachricht: Sobald Sie verstehen, was in Ihrem Körper passiert, können Sie den Kreislauf unterbrechen.
Typische Symptome der Hyperventilation bei Panikattacken
Die körperlichen Symptome von Hyperventilation werden durch den veränderten Kohlendioxidgehalt im Blut verursacht. Sie können sehr intensiv und beängstigend sein:
Atmung und Brustbereich
- Gefühl von Luftnot oder Atemnot (obwohl genug Sauerstoff vorhanden ist)
- Schnelles, flaches Atmen
- Brustenge oder Druckgefühl auf der Brust
- Unfähigkeit, tief einzuatmen
- Gähnen oder Seufzen
Neurologische Symptome
- Schwindel oder Benommenheit
- Kribbeln oder Taubheitsgefühl (besonders in Händen, Füßen, Gesicht)
- Gefühl von Unwirklichkeit oder Entfremdung
- Sehstörungen (verschwommenes Sehen, Tunnelblick)
- Kopfschmerzen
Körperliche Reaktionen
- Herzrasen oder Herzklopfen
- Zittern oder Muskelzuckungen
- Muskelkrämpfe (besonders in Händen oder Füßen)
- Kalte oder feuchte Hände
- Schwitzen
Psychische Symptome
- Intensive Angst oder Panik
- Todesangst
- Angst, die Kontrolle zu verlieren
- Angst vor Ohnmacht
Wichtig zu verstehen: Diese Symptome fühlen sich real und bedrohlich an – und sie SIND real. Sie sind aber nicht gefährlich. Kein Mensch ist je durch Hyperventilation bei einer Panikattacke gestorben.
Warum Hyperventilation sich so gefährlich anfühlt
Das Paradoxe an Hyperventilation ist: Sie haben das Gefühl zu ersticken, obwohl Ihr Körper eigentlich zu viel Sauerstoff hat. Warum fühlt es sich dann so an, als würden Sie nicht genug Luft bekommen?
Die Rolle von Kohlendioxid
Unser Gehirn überwacht ständig den CO2-Gehalt im Blut. Dieser ist der eigentliche Atemantrieb – nicht der Sauerstoffgehalt. Wenn Sie hyperventilieren, sinkt der CO2-Gehalt zu stark. Das Gehirn interpretiert dies als Problem und sendet Alarmsignale: “Atme schneller! Du brauchst mehr Luft!”
In Wahrheit brauchen Sie aber weniger Atmung, nicht mehr. Sie müssen den CO2-Gehalt wieder normalisieren.
Warum die Symptome so intensiv sind
Die veränderte Blutchemie durch zu wenig CO2 hat konkrete Auswirkungen:
- Verengung der Blutgefäße im Gehirn → Schwindel, Benommenheit
- Veränderte Nervenreizleitung → Kribbeln, Taubheit
- Muskelverkrampfung → Brustenge, Muskelkrämpfe
- Erhöhte Erregbarkeit des Nervensystems → verstärkte Angst
Diese körperlichen Veränderungen sind messbar und real – aber vorübergehend und nicht gefährlich.
5 wirksame Soforthilfe-Techniken gegen Hyperventilation
Wenn Sie während einer Panikattacke unter Hyperventilation leiden, können diese Techniken Ihnen helfen, Ihren Atem zu beruhigen und den Teufelskreis zu unterbrechen:
1. Die 4-6-Atmung: Langsamer und kontrollierter atmen
Die wirksamste Methode gegen Hyperventilation ist bewusstes, verlangsamtes Atmen:
So geht’s:
- Atmen Sie durch die Nase ein und zählen Sie dabei langsam bis 4
- Atmen Sie durch den Mund aus und zählen Sie dabei langsam bis 6
- Die Ausatmung ist länger als die Einatmung – das ist entscheidend
- Konzentrieren Sie sich ganz auf das Zählen
- Wiederholen Sie dies für mindestens 2-3 Minuten
Warum es funktioniert: Die verlängerte Ausatmung hilft, den CO2-Gehalt wieder zu normalisieren. Das bewusste Zählen gibt Ihrem Verstand eine Aufgabe und unterbricht das angstgetriebene Denken.
2. Bauchatmung statt Brustatmung
Bei Hyperventilation atmen die meisten Menschen zu viel mit der Brust und zu wenig mit dem Bauch. Bauchatmung ist tiefgründiger und beruhigender.
So geht’s:
- Legen Sie eine Hand auf Ihren Bauch, eine auf Ihre Brust
- Atmen Sie so ein, dass sich nur Ihre Bauchhand hebt
- Die Brusthand sollte möglichst ruhig bleiben
- Stellen Sie sich vor, Sie atmen in Ihren Bauch hinein
- Der Bauch wölbt sich beim Einatmen nach außen
Tipp: Üben Sie Bauchatmung regelmäßig im entspannten Zustand, damit Sie sie im Ernstfall leichter abrufen können.
3. Aufmerksamkeit auf die Ausatmung lenken
Viele Menschen mit Panikattacken fokussieren sich auf die Einatmung (“Ich bekomme nicht genug Luft”). Tatsächlich ist die Ausatmung wichtiger.
So geht’s:
- Konzentrieren Sie sich bewusst nur auf das Ausatmen
- Lassen Sie die Einatmung automatisch geschehen
- Atmen Sie langsam und vollständig aus
- Machen Sie nach dem Ausatmen eine kurze, natürliche Pause
- Lassen Sie dann die Einatmung von selbst kommen
Warum es funktioniert: Vollständiges Ausatmen erhöht automatisch den CO2-Gehalt und sendet Beruhigungssignale an Ihr Nervensystem.
4. Die Papier-Tüten-Methode (mit Vorsicht)
Sie haben vielleicht schon von der Methode gehört, in eine Papiertüte zu atmen. Dies kann helfen, aber sollte mit Vorsicht angewendet werden.
So geht’s:
- Halten Sie eine kleine Papiertüte locker vor Mund und Nase
- Atmen Sie langsam in die Tüte ein und aus
- Machen Sie dies nur für kurze Zeit (30-60 Sekunden)
- Entfernen Sie die Tüte, wenn Sie sich benommen fühlen
Wichtig: Verwenden Sie keine Plastiktüte und atmen Sie nicht zu lange in die Tüte. Diese Methode ist umstritten und nicht für jeden geeignet. Die 4-6-Atmung ist sicherer und genauso wirksam.
5. Die 5-4-3-2-1-Erdungstechnik
Diese Technik lenkt Ihre Aufmerksamkeit von der Atmung und Angst auf Ihre Umgebung und hilft, das Nervensystem zu beruhigen.
So geht’s:
- Benennen Sie 5 Dinge, die Sie sehen können
- Benennen Sie 4 Dinge, die Sie berühren oder fühlen können
- Benennen Sie 3 Dinge, die Sie hören können
- Benennen Sie 2 Dinge, die Sie riechen können
- Benennen Sie 1 Sache, die Sie schmecken können
Warum es funktioniert: Diese Übung unterbricht den Angstkreislauf, bringt Sie zurück in den gegenwärtigen Moment und reduziert die körperliche Anspannung, die zur Hyperventilation beiträgt.
Langfristige Strategien: Hyperventilation vorbeugen
Soforthilfe-Techniken sind wichtig für den akuten Moment. Langfristig ist es aber noch wichtiger, die Häufigkeit von Hyperventilation und Panikattacken zu reduzieren:
Regelmäßiges Atemtraining
Üben Sie täglich 5-10 Minuten bewusste, ruhige Atmung – am besten zu Zeiten, wenn Sie entspannt sind. Dies trainiert Ihr Nervensystem und macht es wahrscheinlicher, dass Sie im Ernstfall automatisch richtiger atmen.
Einfache Übung für jeden Tag:
- Setzen Sie sich bequem hin
- Atmen Sie 5 Minuten lang im 4-6-Rhythmus (4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus)
- Nutzen Sie Bauchatmung
- Beobachten Sie Ihren Atem ohne zu urteilen
Stressmanagement und Entspannungstechniken
Da Stress ein Hauptauslöser für Panikattacken und Hyperventilation ist, helfen regelmäßige Entspannungspraktiken:
- Progressive Muskelentspannung
- Meditation oder Achtsamkeitsübungen
- Yoga oder sanfte Bewegung
- Ausreichend Schlaf und Ruhepausen
Professionelle Unterstützung
Wenn Hyperventilation und Panikattacken Ihren Alltag einschränken, ist professionelle Hilfe sehr empfehlenswert:
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) hilft Ihnen, Angstgedanken zu verändern
- Atemtherapie kann spezifische Atemprobleme gezielt behandeln
- Expositionstherapie reduziert die Angst vor den körperlichen Symptomen
Viele Therapeuten und Atemtherapeuten bieten spezielle Programme für Menschen mit Panikattacken und Hyperventilation an.
Was NICHT hilft bei Hyperventilation
Manche gut gemeinten Ratschläge können Hyperventilation sogar verschlimmern:
Vermeiden Sie diese Fehler
“Atme tief ein!” – Tiefes Einatmen verschlimmert die Hyperventilation, da Sie noch mehr CO2 abatmen. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf langsames, kontrolliertes Ausatmen.
“Beruhige dich doch einfach!” – Dieser Ratschlag ist nicht hilfreich und kann die Angst sogar verstärken. Hyperventilation ist eine reflexartige körperliche Reaktion, die nicht durch bloßen Willen kontrolliert werden kann.
Vermeidung angstauslösender Situationen – Kurzfristig mag Vermeidung Erleichterung bringen, langfristig verstärkt sie aber die Angst und kann zu Agoraphobie führen.
Zu lange in eine Tüte atmen – Dies kann gefährlich werden und ist nicht notwendig. Die 4-6-Atmung ist sicherer und genauso wirksam.
Wann Sie medizinische Hilfe suchen sollten
In den meisten Fällen ist Hyperventilation bei Panikattacken nicht gefährlich. Es gibt jedoch Situationen, in denen Sie ärztliche Hilfe aufsuchen sollten:
- Wenn Sie zum ersten Mal Hyperventilation erleben und unsicher sind, ob es eine Panikattacke ist
- Wenn die Symptome länger als 30 Minuten anhalten
- Wenn Sie Brustschmerzen haben, die nicht eindeutig von einer Panikattacke stammen
- Wenn Sie Hyperventilation zusammen mit anderen besorgniserregenden Symptomen erleben
- Wenn Panikattacken und Hyperventilation Ihren Alltag stark einschränken
Wichtig: Suchen Sie beim ersten Auftreten unbedingt einen Arzt auf, um andere medizinische Ursachen auszuschließen (wie Asthma, Herzprobleme oder Schilddrüsenerkrankungen).
Zusammenfassung: Hyperventilation verstehen und bewältigen
Hyperventilation bei Panikattacken ist ein häufiges, aber sehr gut behandelbares Symptom. Die wichtigsten Punkte:
Was passiert: Sie atmen zu schnell und tief, wodurch zu viel CO2 abgeatmet wird. Dies verändert die Blutchemie und verursacht unangenehme, aber ungefährliche Symptome.
Warum es sich gefährlich anfühlt: Das Gefühl von Atemnot und die intensiven körperlichen Symptome aktivieren Ihr Angstsystem – obwohl keine echte Gefahr besteht.
Was sofort hilft:
- 4-6-Atmung (4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus)
- Bauchatmung statt Brustatmung
- Fokus auf verlängerte Ausatmung
- Grounding-Techniken zur Ablenkung
Langfristig: Regelmäßiges Atemtraining, Stressmanagement und gegebenenfalls professionelle Therapie können die Häufigkeit und Intensität von Hyperventilation deutlich reduzieren.
Denken Sie daran: Hyperventilation ist nicht gefährlich, auch wenn sie sich so anfühlt. Mit den richtigen Techniken und etwas Übung können Sie lernen, Ihren Atem zu kontrollieren und den Teufelskreis zu durchbrechen. Sie sind nicht machtlos – Sie haben wirksame Werkzeuge zur Verfügung.


